Männlich, weiblich, divers: Der Umgang mit dem dritten Geschlecht bei der Berechnung der Mindestsitze im Betriebsrat

Wussten Sie, dass Sie als Wahlvorstand bei der Aufteilung der Sitze im Gremium das Minderheitengeschlecht berücksichtigen müssen? Seit dem Jahr 2001 schreibt das Betriebsverfassungsgesetz nämlich vor, dass dem Geschlecht, das im Betrieb in der Minderheit vertreten ist, eine bestimmte Anzahl an Mindestsitzen im Betriebsrat zusteht (§ 15 Abs. 2 BetrVG). Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber die typische Unterrepräsentanz der Frauen im Betriebsrat ausgleichen. 

Durch diese Regelung können sich allerdings auch schnell Fehler bei der Durchführung der Wahl einschleichen, die gravierende Folgen haben. Denn wenn die Anzahl der auf das Minderheitengeschlecht entfallenden Betriebsratssitze im Wahlausschreiben falsch angegeben wird, verstößt dies gegen das gesetzlich vorgeschriebene Wahlverfahren und berechtigt somit zur Anfechtung der Betriebsratswahl. Deshalb heißt es: Augen auf bei der Berechnung der Mindestsitze! Wie Sie dabei korrekt vorgehen und im Hinblick auf das dritte Geschlecht umgehen, lesen Sie hier. 

Die Berechnung der Mindestsitze: So geht’s

Die Berechnung der Mindestsitze ist bereits eine Herausforderung für sich: Nach dem sogenannten d’Hondtschen Höchstzahlensystem müssen Sie ermitteln, wie hoch die Quote der Mindestsitze ist. Dabei teilen Sie die Anzahl der im Betrieb vertretenen Frauen und Männer nacheinander durch 1, 2, 3 usw. Auf diese Weise ermitteln Sie so viele Höchstzahlen, wie Sitze im Betriebsrat zu vergeben sind. Anschließend ermitteln Sie, wie viele Höchstzahlen jeweils auf die einzelnen Geschlechter entfallen und stellen damit die Quote der Mindestsitze fest. 

Beispiel:

Dem Betrieb gehören 80 Arbeitnehmer an, davon sind 25 Frauen und 55 Männer. Der Betriebsrat besteht aus 5 Mitgliedern. Es wird wie folgt gerechnet:

Männer Frauen
55 : 1 = 55 25 : 1 = 25
55 : 2 = 27,5 25 : 2 = 12,5
55 : 3 = 18,3 25 : 3 = 8,3
55 : 4 = 13,75 25 : 4 = 6,25

 

Von den fünf Höchstzahlen (fett markiert) entfällt eine (25) auf die Frauen. Die Mindestquote für Frauen im Betriebsrat ist daher ein Sitz. 

Als Wahlvorstand müssen Sie im Wahlausschreiben den Anteil der Geschlechter im Betriebsrat mit dem Hinweis bekannt geben, dass das Geschlecht in der Minderheit entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein muss. 

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Neue Fehlerquelle: Die dritte Option

Als wenn das nicht schon kompliziert genug wäre, hat sich mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2017 eine neue Situation ergeben, die viele Fragen – auch im Hinblick auf die Betriebsratswahl – aufwirft.

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität derjenigen schützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind (Beschluss v. 10.10.2017, Az.: 1 BvR 2019/16). Der Gesetzgeber hat daraufhin das Personenstandsgesetz entsprechend abgeändert: Seit 1. Januar 2019 besteht die Möglichkeit, sich als „divers“ im Personenstandsregister eintragen zu lassen (sog. „dritte Option“). 

Eine entsprechende Anpassung der Vorschriften zur Betriebsratswahl bzw. eine Klarstellung, wie damit bei der BR-Wahl umzugehen ist, erfolgte jedoch nicht. 
 

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Bestimmung des Minderheitengeschlechts?

Eine mögliche Diskriminierung könnte sich damit auch im Rahmen einer Betriebsratswahl ergeben. Schließlich muss nach § 15 Abs. 2 BetrVG das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, entsprechend seines zahlenmäßigen Verhältnisses im Betrieb vertreten sein. 

  • Muss also ab sofort das dritte Geschlecht bei der Bestimmung des Minderheitengeschlechts berücksichtigt werden, falls es im Betrieb vertreten ist?
  • Oder ist die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass es in einem Betrieb auch mehrere Minderheitengeschlechter geben kann?

Gegen beide Vorgehensweisen sprechen folgende Punkte:

  • Binäres Geschlechterverständnis des Gesetzgebers 
    In der Wahlordnung wird ausdrücklich auf die im Betrieb beschäftigten „Frauen und Männer“ Bezug genommen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 WO). Auch die Gesetzesbegründung anlässlich der Neufassung von § 15 Abs. 2 BetrVG im Jahr 2001 belegt, dass der Gesetzgeber von einem binären Verständnis der Geschlechter (männlich und weiblich) ausging. Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber vor allem die Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern. 
     
  • Sinn und Zweck der Vorschrift 
    Ziel des Gesetzgebers ist, mit dieser Vorschrift die Gleichberechtigung im Betrieb zu fördern. Würde nun ausschließlich das dritte Geschlecht als Minderheitengeschlecht berücksichtigt, hätte dies aufgrund der geringen Anzahl an Vertretern des dritten Geschlechts in den meisten Fällen erst einmal keinerlei Auswirkung auf das Wahlergebnis:

Beispiel:

In einem Betrieb mit 150 Mitarbeitern müssten nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren mindestens 19 intersexuelle Personen beschäftigt sein, um einen Mindestsitz im Betriebsrat zu erhalten. Da in Deutschland lediglich ungefähr 0,2 Prozent der Bevölkerung intersexuell sind, ist eine solche Konstellation höchst unwahrscheinlich. 

Aber: Das Geschlecht, das am zweitstärksten/-schwächsten im Betrieb vorhanden ist, würde dadurch überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. Das Ziel des Gesetzgebers, mit dieser Vorschrift die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Betrieb zu fördern, würde also komplett unterwandert. 

  • Zusammensetzung des Betriebsrats
    Die Zusammensetzung im Betriebsrat soll die geschlechtermäßige Zusammensetzung der Belegschaft widerspiegeln. Auch das wäre nicht mehr der Fall, wenn nur noch das dritte Geschlecht bei der Verteilung der Mindestsitze berücksichtigt würde.
     
  • Gesetzeswortlaut: 
    Gegen eine Berücksichtigung von zwei Minderheitengeschlechtern spricht der Wortlaut der Vorschrift: Da hier das Wort „Geschlecht“ im Singular verwendet wird, ist auch nur die Berücksichtigung eines Minderheitengeschlechts vorgesehen.

Fazit:
Für den optimalen Minderheitenschutz müssten bei der Verteilung der Mindestsitze eigentlich beide Minderheitengeschlechter berücksichtigt werden. Hierfür müsste der Gesetzgeber jedoch die Vorschrift abändern, da die jetzige Regelung dazu nicht den nötigen Spielraum lässt.
 

ifb-Tipp:

Faktisch wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wohl in den allermeisten Betrieben keine Auswirkungen auf die Betriebsratswahl haben – entweder, weil es keine Mitarbeiter gibt, die dem dritten Geschlecht angehören oder weil dies dem Wahlvorstand nicht bekannt ist. 

Solange der Gesetzgeber die Regelung nicht auf das dritte Geschlecht anpasst, empfehlen wir, das dritte Geschlecht bei der Verteilung der Mindestsitze nicht zu berücksichtigen.